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„Wir fühlten uns niemals sicher“

Erstellt von Lara Janoschek | | Finance

Stefan Honrath und André Bonitzke über die Filialsprengungen bei der Volksbank BRAWO im Landkreis Peine

Die Zahl von versuchten und durchgeführten Geldautomatensprengungen in Deutschland hat sich von 45 Delikten im Jahr 2012 auf 496 Taten im Jahr 2022 mehr als verzehnfacht. Auch im Jahr 2023 kam es bundesweit erneut zu einer hohen Anzahl an Verbrechen dieser Art. Die Volksbank BRAWO wurde in den vergangenen zwei Jahren insgesamt sechs Mal Opfer von Sprengungen. Fünf davon ereigneten sich im Landkreis Peine. André Bonitzke, Privatkundenleiter der Volksbank BRAWO für den Markt Braunschweig/Peine/Salzgitter, und Stefan Honrath, Direktionsleiter Peine der Volksbank BRAWO, sprechen im Interview über die Verbrechen, ihre Gefühlslage, die Anstrengungen der Polizei und geben einen Ausblick auf den aktuellen Planungsstand im Kreis Peine.

Herr Honrath, Herr Bonitzke, im Zeitraum vom 23. Januar 2022 bis zum 18. Oktober 2023 wurde die Volksbank BRAWO im Kreis Peine Opfer von fünf Sprengungen. Wie tief sitzt immer noch der Schock?

Stefan Honrath: „Wenn man – wie es die Kolleginnen und Kollegen und ich tagtäglich tun – daran arbeitet, die Angebote der Volksbank BRAWO und der BRAWO GROUP den Menschen im Peiner Land näher zu bringen und man dann sieht, wie die Zeichen der örtlichen Präsenz, nämlich die Filialen, Stück für Stück zerlegt werden, dann geht das an niemandem spurlos vorbei. Der Begriff Schock ist für den Anfang richtig. Aber dieser wandelte sich irgendwann in Wut und Enttäuschung – darüber,  dass es offensichtlich nicht möglich ist, die Täter und Hintermänner dingfest zu machen und nachhaltige Fahndungserfolge zu erzielen.“

André Bonitzke: „Wer bei der Berichterstattung in der Presse oder in den sozialen Medien oftmals keine Beachtung findet, sind die Menschen, die dort arbeiten. Natürlich sitzt bei uns als Direktions- und Privatkundenleiter der Schock tief. Aber wenn man sich überlegt, wie viele Stunden seines Alltags man bei der Arbeit verbringt und welch hohen Stellenwert die Arbeit dadurch in einem Leben besitzt, ist das eine ganz andere Betroffenheit bei unseren Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Wenn mit brachialer Gewalt der Arbeitsplatz gesprengt wird, ist das ein Stück weit die Existenzgrundlage, die einem genommen wird. Bei der Gefühlslage ist bei uns und bei den Mitarbeitenden in den Filialen alles mit dabei. Im Rahmen eines Notfallplans ist man auf Gefahr eingestellt, aber diese Pläne regeln nicht, was es mit den Menschen macht. Und schon gar nicht fünf Mal.“

Wie kommunizieren Sie die Geschehnisse an Ihre Mitarbeitenden?

André Bonitzke: „Die Mitarbeitenden müssen wir zunächst einmal emotional auffangen. Herr Honrath und ich haben vor allem auch eine koordinative und psychologische Aufgabe. Unsere Kolleginnen und Kollegen stehen in den Trümmern ihres Arbeitsplatzes und fragen sich, wie es weitergeht. Wir müssen dann sehr schnell weitsichtige Entscheidungen treffen. In dieser Zeit haben wir gemerkt, was wir für ein verlässliches Team haben. Alle haben mit angepackt, mehr Überstunden als jemals zuvor geleistet und waren am nächsten Tag an ihrem Ersatzarbeitsplatz wieder im Dienst. Darauf sind wir unglaublich stolz.“

Stefan Honrath: „Alle standen mit unglaublicher Loyalität zu unserem Haus und haben die Geschehnisse mit Fassung getragen. Hinter all den bedrückenden Erfahrungen gab es eine ganz besondere: die extrem gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit über alle Hierarchieebenen in der Bank.“

Vier Sprengungen ereigneten sich binnen sieben Monaten kurz hintereinander. Wie war Ihre Gefühlslage in dieser Zeit?

André Bonitzke: „Aus meiner persönlichen Erfahrung: Ich konnte einfach schlecht schlafen. Der Körper wurde in der Hochphase automatisch zwischen 4 Uhr und 5 Uhr nachts wach und der erste Griff ging direkt zum Handy. Dieses Gefühl der permanenten Bedrohung war alles überlagernd. Meine Gedanken kreisten ständig darum: Wen trifft es als Nächsten? Wann passiert es? Und: Hoffentlich passiert beim nächsten Mal nichts Schlimmeres.“

Zwischen der Sprengung in Gadenstedt am 26. Juli 2022 und der Sprengung in Lengede am 18. Oktober 2023 lag mehr als ein Jahr. Kam es hier gewissermaßen zu einem trügerischen Aufatmen?

André Bonitzke: „Natürlich haben wir weiterhin die Presse verfolgt und gemerkt, dass das Thema sich nur regional verlagert hat. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wie bei einem persönlichen Verlust der Schmerz von Woche zu Woche weniger wird, war auch das Thema irgendwann nicht mehr so vordergründig. Der Schlaf wurde besser, man hat sich wieder an den Arbeitsalltag gewöhnt und andere Fokusthemen bearbeitet. Aber die latente Gefahr war immer im Hinterkopf. Und ein Jahr später kamen die Erinnerungen mit einer nicht weniger werdenden Brutalität zurück: Die Filiale Lengede wurde mindestens genauso hart getroffen wie alle anderen Filialen auch.“

Stefan Honrath: „Wir hatten gehofft, dass es vorbei ist. Aber wir haben uns niemals sicher gefühlt –auch vor dem Hintergrund, dass wir nicht erkennen konnten, dass in der Fahndung so wirksame Maßnahmen zum Einsatz kamen, die die Hoffnung auf eine Zerschlagung der Banden erlaubten.“

Bitte führen Sie dies einmal aus.

Stefan Honrath: „Die Polizei tut, was in ihren Möglichkeiten steht, davon bin ich überzeugt. Überzeugt bin ich nicht davon, dass der Polizei von politischer Seite alle Möglichkeiten gegeben werden, die sie braucht. Die Polizisten vor Ort sind Extrastreifen gefahren, sind hochgradig aufmerksam, tun alles, um die Gefährdungslage zu reduzieren. Wenn wir es aber mit internationaler Kriminalität zu tun haben, die Hoheit deutscher Ermittlungsbehörden jedoch an der deutsch-holländischen Grenze endet, stehen wir vor dem ersten Problem. Mittlerweile wissen wir, dass jegliches Verbreiten von Optimismus über die Chance, der Täter habhaft zu werden, unberechtigter Optimismus ist. Es muss ein staatenübergreifendes Commitment geschaffen werden, dass man diesen Banden das Handwerk legen will. Zudem muss es von politischer Seite als das angesehen werden, was es ist: Terror. Diese Priorität wird diesem Thema nicht gegeben. Die Sicherheit seiner natürlichen und juristischen Personen, seine Wirtschaftsobjekte zu schützen, ist Sache des Staates. Dieser Grundgedanke scheint aus meiner Sicht in den Hintergrund geraten zu sein.“

André Bonitzke: „Zudem fühlt es sich ungerecht an, was wir teilweise über uns ergehen lassen mussten und was an Forderungen an uns gestellt wurde. Wir befinden uns in einem stetigen Spannungsfeld: Auf der einen Seite ist es eine unserer wichtigen Aufgaben, die Bargeldversorgung in der Fläche sicherzustellen, auf der anderen Seite werden wir aus der Opferrolle in die Täterschaft gedrängt und dafür angeprangert, dass wir angeblich nicht genug tun. Ein ganz reißerisches Beispiel ist die Forderung, die Banken bräuchten nur abends die Filialen zu schließen. Aber jeder, der sich mit dem Thema auseinandersetzt, mit Spezialisten spricht und sich überlegt, mit welch brachialen Mitteln und Sprengstoffmengen dort gearbeitet wird, weiß, dass es unmöglich ist, ein Türsystem zu bauen, was diesem standhält. Aber eines möchte ich ganz klar betonen: Wir haben viel Verständnis und Geduld von unseren Kunden während der ganzen Zeit erfahren. Dafür möchte ich mich und auch im Namen des ganzen BRAWO-Teams ganz herzlich bedanken!“

Welche Maßnahmen wendet die Volksbank BRAWO an?

André Bonitzke: „Wir sind schon seit vielen Jahren in engem und regelmäßigem Austausch mit der Polizei. Seit der ersten Sprengung haben wir uns Monate lang mit nichts anderem beschäftigt, Task Forces gegründet und alles getan, was man tun kann – ob es um Einfärbetechnik oder Befüllungshöhen geht. Gleichzeitig haben wir die Kassenbestände reduziert und den Einsatz von 100- und 200-Euro-Noten gesenkt. Gute Sicherheitstechnik in den Automaten ist das A und O. Hier sind wir auf dem aktuellen Stand der Technik.“

Stefan Honrath: „Ebenso unseriös sind Forderungen aus der Politik nach dem Einsatz bestimmter Sicherheitstechniken, die in Deutschland gar nicht zugelassen sind. So etwas muss man als reinen Populismus bezeichnen. Wenn z. B. auch darüber gesprochen wird, dass man die Geschäftsstellen an gefährdeten Standorten schließen soll und dadurch ein Mehr an Sicherheit schaffen soll, würde ich gerne wissen, an welchen Kriterien jemand, der so etwas vorschlägt, die Gefährdung festmacht. Wir haben nun leider wirklich Erfahrung mit Sprengungen und können ganz klar sagen, dass wir nicht erkennen, dass manche Standorte gefährdeter sind als andere. Es ist kein System erkennbar und das scheint auch die Strategie der Täter zu sein.“

Wie konnten Sie Kunden nach einer Sprengung kurzfristig informieren?

André Bonitzke: „Die mediale Aufmerksamkeit ist so groß nach einer Sprengung und das kommunikative Lauffeuer geht so schnell, dass in der Regel die meisten Kunden auf uns zukommen und über unser KundenServiceCenter den Kontakt suchen. Dort haben unsere Kolleginnen und Kollegen wirklich großartige Arbeit geleistet. Die Kunden, die ein Schließfach bei uns haben, sind die Ersten, die wir anrufen. Sie haben Angst, wie es um ihre Wertgegenstände in ihren Schließfächern steht. In der Regel konnten aber noch am selben Tag alle Schließfachkunden über das weitere Vorgehen informiert werden und wir ihnen mitteilen, dass die Fächer unversehrt und weiterhin sicher sind.“

Wie gestaltete sich die Lösung nach Ausweichquartieren?

Stefan Honrath: „Ein auf mehrere Monate ausgerichtetes Ausweichquartier konnten wir manchmal sehr schnell, manchmal nicht so schnell finden. In Edemissen haben wir es kurzfristig durch einen Vorschlag des hiesigen Bürgermeisters lösen können und sind dadurch auf die Räumlichkeiten über der Bäckerei Steinecke Ecke Peiner Straße/Wöhrbergweg aufmerksam geworden. Gleichzeitig konnten wir kurzfristig einen Container auf das Gelände unserer gesprengten Filiale stellen, sodass die Lösung für Edemissen innerhalb weniger Monate hergestellt werden konnte. In Lengede waren wir ebenso schnell, da wir ebenfalls auf unserem eigenen Gelände einen Container zur Bargeldversorgung errichteten. In Gadenstedt und Groß Ilsede waren wir in den Gebäuden eingemietet, eine Containerlösung war daher nicht möglich. Hier hat sich allein die Suche nach einem Ausweichstandort über ein Jahr hingezogen. Ich habe in meinem ganzen Berufsleben keinen Vorgang gehabt, bei dem sich eine als sicher geglaubte Lösung so oft in Luft aufgelöst hat.“

André Bonitzke: „In Ilsede hatten wir bei keinem einzigen der beabsichtigten Konzepte Erfolg. Es kam immer irgendein Umstand hinzu, den wir nicht beeinflussen konnten und der zugleich kurzfristig alles umgeworfen hat. Wir haben unseren Mitarbeitenden mehrfach die Hoffnung auf eine Lösung mitgeteilt und mussten dann alles verwerfen. Umso mehr freuen wir uns, dass wir im Februar 2024 wieder in die Geschäftsstelle in der Gerhardstraße eingezogen sind.“

Welche langfristigen Pläne gibt es?

Stefan Honrath: „In Vöhrum gab es keinen passenden Standort für ein Übergangsquartier. Zudem sind Geldautomaten und Geschäftsstellen in Schwicheldt, Hämelerwald, Peine Am Markt und in Stederdorf in erreichbarer Nähe. Hier sind wir in der Abstimmung für die Planung eines Neubaus. In Groß Ilsede streben wir ebenfalls einen Neubau an. In Edemissen sind wir sehr optimistisch, dass wir noch im Jahr 2024 unsere neue Geschäftsstelle auf dem Redecke-Areal beziehen können. Für Lengede haben wir die Rückmeldung erhalten, dass wir das alte Gebäude wieder aufbauen können und arbeiten nun intensiv an der Wiedererrichtung. Daher ist unsere aktuelle Gefühlslage auch zweigeteilt: Wir leben mit dem Wissen, dass die Banden nicht ausgehoben wurden und es jederzeit wieder passieren kann, freuen uns aber auch darüber, dass unsere Planungen vorangehen.“

Die Geschehnisse im Landkreis Peine im Zeitstrahl

23. Januar 2022 – Vöhrum: Sprengung der Geschäftsstelle – Mitarbeitende fortan in Filiale Schwicheldt

28. Januar 2022 – Edemissen: Sprengung der Geschäftsstelle – Errichtung einer kurzfristigen Container-Lösung für Bargeldbeschaffung vor der gesprengten Filiale

23. Februar 2022 – Groß Ilsede: Sprengung der Geschäftsstelle – Mitarbeitende fortan in Gardenstedt eingesetzt

16. Mai 2022 – Edemissen: Ausweichquartier in Edemissen Ecke Peiner Straße/Wöhrbergstraße eröffnet

26. Juli 2022 – Gadenstedt: Sprengung der Geschäftsstelle – Mitarbeitende fortan in Lengede und in Peine Am Markt

15. August 2022 – Gadenstedt und Groß Ilsede: Mitarbeitende gemeinsam im Ausweichquartier in Oberg

18. Oktober 2023 – Lengede: Sprengung der Geschäftsstelle – Mitarbeitende fortan in Salzgitter-Lebenstedt

5. Februar 2024 – Lengede: Containerlösung auf dem Parkplatz der ehem. Geschäftsstelle in Betrieb genommen

19. Februar 2024 – Groß Ilsede: Wiedereröffnung der Geschäftsstelle in der Gerhardstraße für Beratungen, Kontoauszüge und Überweisungen. Aufstellung eines Geldautomaten in der Eichstraße in der Nähe des Ilseder Rathauses

2. Halbjahr 2024 – Edemissen: Bezug des Neubaus auf dem Redecke-Areal

Zahlen, Daten, Fakten

  • 2022 kam es bundesweit zu 496 Fällen von Geldautomatensprengungen.
  • Zusammengerechnet erbeuteten die Diebe 29,9 Millionen Euro in ganz Deutschland.
  • Deutlich höher sind die durch die Explosionen verursachten Sach- und Begleitschäden.
  • Die Täter kommen vermutlich aus dem europäischen Ausland.
  • Regionaler Brennpunkt ist Nordrhein-Westfalen mit 182 Sprengungen, gefolgt von Niedersachsen (68), Rheinland-Pfalz (56) und Hessen (41).
  • Nach Informationen des BKA, von Europol und der holländischen Polizei handelt es sich um organisiertes Verbrechen; die erbeuteten Beträge werden gezielt zur Zwischenfinanzierung anderer Straftaten, vor allem Drogenhandel, verwendet.
  • Neben Sprengstoff verwendeten die Banden bislang auch Methoden wie mechanische Manipulation, Schneidbrenner bis zu explosiven Gasen.

Quelle: R+V plus

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Stefan Honrath (links), Direktionsleiter Peine, und André Bonitzke, Privatkundenleiter Markt Braunschweig/Peine/Salzgitter, sprechen im Interview über die Zeit der Sprengungen und geben einen Ausblick auf den aktuellen Planungsstand im Kreis Peine.
In Groß Ilsede gestaltete sich die Suche nach einer Übergangslösung schwierig und langwierig. Umso größer war die Freude und Erleichterung, als das Team um Rainer Falkenhagen Anfang 2024 wieder in die Räumlichkeiten der Gerhardstraße ziehen konnte.
Eine Übergangslösung konnte nach der Sprengung in Lengede kurzfristig durch eine Containerlösung hergestellt werden, worüber sich Marcel Lang und sein Team sehr freuen.
Die Führungsmannschaft aus dem Kreis Peine freut sich auf den Bezug der Geschäftsstelle Edemissen auf dem Redecke-Areal und blickt hoffnungsvoll in die Zukunft. Rainer Falkenhagen (v. l.): Filialverbundleiter Peine-Mitte (Peine Am Markt, Groß Ilsede), Stefan Honrath, Direktionsleiter Peine, Jörg Tükker, Filialverbundleiter Peine-Nord (Stederdorf, Edemissen, Vöhrum, Schwicheldt), Marcel Lang, Filialverbundleiter Salzgitter/Lengede (Salzgitter- Thiede, -Bad, -Lebenstedt, Sickte und Lengede) sowie André Bonitzke, Privatkundenleiter Markt Braunschweig/Peine/Salzgitter